Schlaflos an einem Ort, der niemals schläft:
bläulich spült Mond auf ein Kissen, auf Rabenhaar und drastisch umrahmte Augen. EIn Gesicht, das zu eindrucksvoll ist, um wirklich als schön zu gelten. Ein Gesicht, dem man früh den Verschleiß ansieht: etwas Derbes ist in diesem Gesicht: die großen Zahnlücken, von Nikotin und Alkohol durchdrungene Haut, was zu einer gewissen Verwischung der Züge geführt hat, ein breiter, fast zu großer Mund, der zudem auch Vorlautes, Unüberlegtes von sich gibt, immer ein bisschen zu laut spricht sie, immer ein bisschen zu dröhnend, immer ein bisschen kopflos. Ungeplant kommen die Sätze, als wäre sie überrascht, überhaupt etwas sagen zu müssen. Immer sucht sie den Ausweg ins Familiäre, in das ausweichend-herzliche der Alltagskonversationen. So, als wäre sie gerade um die Straßenecke gebogen und hätte zufällig die Reporterin getroffen: you know darlin’, I was just chilling at home, we had a couple of drinks yesterday, we went to play pool. Yeah darlin’, i just sit and sing, and it’s just all about my life, I guess. I listened to jazz records when I was young, I dunno, my father used to play them on sundays, you now the big ones, Aretha and all the great names, that was important to me. it comes naturally to me, it’s just what comes out when I open my mouth, it’s like breathing I guess.
Sie hat sich das abgehackt Stolpernde, das Wirre und zugleich Häusliche, das Pragmatisch-Zupackende und zugleich Ungenaue, da niemals Selbstoffenbarende der Straßensprache niemals abgewöhnen können.
Ihr Auftreten
ihr Kleidungsstil: tacky. Die Highheels, die engen Kleidchen mit Korsage und tiefem Dekolletee und Tiger Print, die Riemchen und auf die Hüfte gegürteten Röhrenjeans. Dazu dieses furchtbare Neunziger Jahre Ghetto-Piercing, das vielfach überfärbte stumpfe Haar, die Kippe im Mundwinkel, die falschen Fingernägel. Selbst als sie bereits so berühmt war, dass sie sicherlich ein Stylist*innen-Team beschäftigt hat, wirkte es immer so, als hätte sie sich ihre Garderobe auf dem Camden-Market zusammengeklaubt. Wie ein Teenager aus Brixton oder Peckham, der sich für einen Abend mit einem 15 Pounds - Glätteisen und billigem Eyeliner in eine Lady zu verwandeln versucht.
Und trotzdem WAR sie eine Lady. Eine der vielen faszinierenden Seiten von Amy Winehouse war es, dass man ihr, selbst als sie Weltruhm erlangt hatte und in Preisen ertrunken ist, immer ihre Herkunft angesehen hat. Ihre Kleider wirkten weiterhin billig, an ihr klebte unausrottbar die Spur eines Lebens jenseits der Öffentlichkeit, das im grellen Scheinwerferlicht nur verlottert und irgendwie plump wirken konnte. Und trotzdem - oder vielleicht genau deswegen - wirkte sie mit ihrem unsicher stöckelnden Gang, mit ihren verhuschten Gesten, mit ihrer gigantischen vogelnestigen Frisur, die ihre Standhaftigkeit - so sah es aus - einem geduldigen unbequemen Einsatz auf Knien vor der heimischen Badewanne verdankt, elegant. Es war vielleicht nicht die Eleganz, die sie beabsichtig hat, sondern genau das Absichtslose, das Unfreiwillige ihres Auftreten, das Unpassende daran. Sie wirkte immer wie jemand, der ganz und gar nicht dorthin gehörte, wo sie war (oder wohin sie gezerrt wurde). Sie wirkte wie jemand, der früher vielleicht einmal von der großen Bühne geträumt hat, dem die Realität des Ganzen allerdings ganz und gar nicht behagt. Dem das Spektakel, das Gezerre, die Hysterie um die eigene Person zuwider ist. Und genau darin lag eine seltsame Eleganz, oder eine Erhabenheit: in der Unfreiwilligkeit ihres Auftritts. Das Deplatzierte ihrer Person fiel gewissermaßen auf ihre Umwelt zurück: nicht sie war falsch, alles um sie herum, das ganze Getue des roten Teppichs war schrecklich künstlich.
Eine gängige Erzählung, die sich um Amys Leben rankt, ist die altbekannte Laier der hochsensiblen Künstlerpersönlichkeit, die letztlich unter dem Druck der Öffentlichkeit zerbricht und von ihr zerfleischt wird (ungefähr 90 Prozent der Kommentare zu ihren Videos lauten in etwa: she was an angel, she was not made for this world, she was so fragile, so vulnerable etc., gefolgt von Anklagen an ihre Plattenfirma, an ihre Eltern, an Blake (der berüchtigte Buhmann Blake Fielder Civil) und an die Konsument*innen ihrer Musik, die sie hätten retten sollen, die „zugesehen“ haben, wie sie zugrunde gerichtet wird). Auch wenn die Rolle, die eine den Profit über den Takt und die gewisse grundlegende Unplanbarkeit eines künstlerischen Daseins stellende Musikindustrie und eine für die nächste reißerische Headline über Leichen gehende Boulevardpresse für den destruktiven Verlauf ihres Lebens gespielt hat, nicht verharmlost werden soll, würde ich dieser Perspektive doch entgegenhalten:
Es war nicht so, dass Amy Winehouse irgendwann innerlich zerbrochen ist. Sie war ein durch und durch widerborstiger Charakter. Es war vielmehr ihre Unverbieglichkeit, der Umstand, dass sie sich niemals völlig auf die Umstände eingelassen hat, dass sie sich der Vermarktung (bzw. Vermarktbarkeit) entzogen hat, die ihr zum Verhängnis geworden ist. Der Beehive, diese schweren Blöcke um die Augen - das war eine Kampfansage, keine Kapitulation. Eure Welt gegen meine.
Ihre Themen
Die unersättliche Quelle ihrer Lyrics ist die abgründige Beziehung zwischen Männern und Frauen. Es sind Männer, die sich nicht melden, auf die man warten muss, die einen stehen lassen und dann gleich ins nächste Bett steigen, Männer, die sich als Täuschung, als Phantasma entpuppen, denen man in die erst in die Falle geht und die sich dann abwenden, weil sie die Wucht der Emotionen nicht aushalten. Und am Ende steht immer die Isolation, die Tränen, die alleine trocknen müssen und das entsetzliche Gefühl morgens alleine aufzuwachen. Nichts davon ist neu, es ist im Gegenteil so unwahrscheinlich alt, dass es einen langweilen könnte (tut es aber nicht).
If my man was fighting
some unholy war
I would be behind him
Straight up beside him
with strength he didn’t know
It’s you I am fighting for
He can’t lose with me in tow
I refuse to let him go
at his side and drunk on pride
we wait for the blow…
(das Kriegsthema wäre auf jeden Fall aufzugreifen.)
Alle ihre Songs klingen zugleich wie Erinnerungen an Songs.
Ihre Zeitlosigkeit - der Stillstand um die Jahrtausendwende, die erstarrte Neoliberale Stadt London, die darin gefangen ist, sich selbst zu erinnern, deren Gegenwart ein unendlicher Loop der Vergangenheit ist. (Die Geschichtsmüdigkeit unserer Zeit: das 20. Jahrhundert hat uns geschichtlich erschöpft)
(feat. Mark Fisher - to be continued…)


Postskriptum:
Amy Winehouse war die erste bewusste Tote in meinem Leben. Ich erinnere mich an die Zeit, als sie berühmt wurde, die Zeit, als ihr zweites Album erschien und sie omnipräsent war. An den Medienstrudel der immer gehässiger wurde (alles im scheinheiligen Gewand der Besorgnis), ich erinnere mich an einen Familienurlaub, in dem die CD im Auto rauf und runter lief, an unsere sonnenverbrannten Gesichter und Pinienduft strömt durch die offenen Fenster und mein Vater singt lautstark mit und dann dieses abrupte Ende. Die Bilder aus den Nachrichten, das Unglaubliche daran, dass dieser ganze Zirkus, dass diese Lieder, die uns und so vielen anderen gewissermaßen in die Haut eingegangen ist, sich zum festen Inventar verdichtet haben, dass dieser unendliche Strom der Meldungen, der Empörung, der Besserwisserei letztlich auf diesen schmalen, zarten Körper zurückzuführen sind, der sich unter dem Tuch auf der Bahre abzeichnete, die am Camden Square an der Journalistenmeute vorbeigetragen wurde. (Und so unpassend das auch ist: als ich die Livebilder sah, fragte ich mich, ob sie unter dem Tuch ihren Beehive trug). Ein summender Stimmenschwarm, der auf einmal zusammen sackt, seines geheimen Zentrums beraubt.

Die Geschichte von Amy Winehouse ist eine, die unwahrscheinlich anfängt und hässlich endet. Etwas, dessen Lebenselixier die Verborgenheit ist, soll unverborgen sein. Am Ende bleibt es auch verborgen. Der Tod ist das Verborgenste aller Dinge.
Marlene Dumas - Amy Winehouse. National Portrait Gallery, London.